Von Stapelholm, Scheuerpfählen und Panta rhei
Von Stapelholm, Scheuerpfählen und Panta rhei
Published on Juni 8th, 2010 @ 17:16:42 , using 633 words,
Eigentlich wollte ich auf dem Campingplatz-Kiosk eine Karte von der Eider kaufen, aber die letzte, die er hatte, war unter Glas und die wollte er mir geben, aber ich lehnte ab, weil sie für seine Gäste wichtiger war, als für mich flüchtigen Gast. Aber dabei entdeckte ich ein verblichenes kleines Heftchen, was bei ihm wohl schon 9 Jahre lang im Schaufenster lag, weil es entsprechend verblichen war und das erstand ich dann für die Hälfte seines ursprünglichen Preises: "Von Pfahl zu Pfahl" und es beschreibt eine Kunstaktion in dieser Region aus dem Jahre 2000, in der 23 Künstler aus Stapelholm Scheuerpfähle künstlerisch gestaltet und in der Region aufgestellt haben.
Aber: Eins nach dem anderen.
Stapelholm nennt sich die Region, die von drei Flüssen eingeschlossen ist: Im Süden die Eider, von Nord-Ost kommend nach Westen fliessend die Treene, die in Friedrichstadt in die Eider mündet und schon, wie beschrieben, von den Wikinger benutzt wurde und die Sorge, die im Osten nord-südlich verläuft und ebenfalls in die Eider mündet.
Es ist eine Niederungs-Landschaft, durchzogen von ein paar Geestrücken.
In den Sturmfluten drückte über Jahrtausende die Nordsee unendliche Wassermassen in den Trichter der Eider an der Küste, und diese Wassermassen wälzten sich bis tief in das Land rein und setzten große Teile dieser Niederung unter Wasser. Moore bildeten sich hier und die Bauern, die hier versuchten zu überleben, mussten immer wieder ihr Land vor den Wassermassen verlassen. Eine arme Gegend, denn auch auf den Geestrücken lies sich wegen der dort mageren Sandböden nichts rechtes anbauen.
Die Eider bildete die Grenze zwischen Dithmarschen und Stapelholm und die hier üblichen Glocken in einer Eichenastgabel dienten über Jahrhunterte der Warnung vor einfallenden Dithmarscher, die hier Eroberungszüge geben die Bauern aus Stapelholm führten.
Das zur Geografie.
Scheuerpfähle.
Tja, wer hätte das gedacht, sind sozusagen der wichtigste kommunikative Ort auf einer Weide für das sich dort befindliche Weidenvieh.
Scheuerpfähle dienen der Hautpflege der Tiere, von der es grundsätzlich drei verschiedene Formen gibt:
Das Tier beknabbert sich mit den Zähnen, kratzt sich mit den Krallen oder versucht sich mit den Hörnern von Parasiten zu befreien.
Manche Tiere tun dies in Form sozialer Kommunikation: sie belecken oder beknabbern sich gegenseitig und neben dem hautpflegerischen Ergebnis ist es zugleich auch eine gegenseitige soziale Anerkennung und Wertschätzung und dient deshalb dem Zusammenhalt der Tiergruppe.
Und drittens erfolgt bei einigen Tieren die Hauptpflege mittels eines Substrates: Entweder suhlen sie sich in einem Schlammloch, gehen ins Wasser oder suchen sich ein entsprechendes Objekt, an den sie sich ihr Fell reiben und schaben können: den Scheuerpfahl.
Der muss natürlich entsprechend stabil sein, denn er muss einem 600 Kg schweren Körper, der sich dagegen lehnt, einen entsprechenden Widerstand bieten können, ohne nach ein paar Mal Benutzung gleich umzukippen.
Und - und jetzt finde ich wird es spannend - ein solcher Pfahl ist ein wirklicher Kommunikationsort innerhalb einer ja ansonsten völlig unstrukturierten Wiese: er ist der beliebteste Ort der Wiese, er ist sozusagen im besten Sinne des Wortes die Attraktion der Wiese, er bindet die Tiere an diesen Ort, und er gliedert zugleich auch dämpfend die soziale Hierarchie innerhalb der Herde: Die rangniederen Tiere, die ansonsten den ranghöheren schutzlos ausgeliefert sind, fühlen sich wohler in der Nähe dieses Scheuerpfahls, wenn er zwischen ihnen und den Ranghöheren steht.
Der Scheuerpfahl hat auf einer Wiese eine gar nicht zu unterschätzende Bedeutung (alles nach dem Bericht von Hans Hinrich Sambraus).
Nun haben 23 Künstler aus dieser Landschaft solche Scheuerpfähle künstlerisch gestaltet und auf den Wiesen aufgestellt: Dem Viehzeug zur Hautpflege und Kommunikation, den Menschen zur Freude und zum Nachdenken und der Landschaft zur Manifestation, dass in der Welt alles mit allem verbunden ist auf eine vielfältige, von uns immer wieder geheimnisvoll und wunderbar zu entdeckenden Art und Weise. Und es macht deutlich, wie die Evolution arbeitet: Panta rhei: alles fließt, alles entwickelt sich weiter, immer und ewig (Sigrid Stegemann).
1 Kommentar
das ist schon ziemlich umfangreich, was man da liest und ich schwanke wie dein schiff auf dem wasser von backbert nach steuerbert:wird das nun ein reisebericht, ein geschichtsbuch oder schreibt da ein agrarökonom? ein bischen spaß muss sein, jörg,sonst wirds langweilig,nicht wahr?
herztlichst lesum-frank