Kleines Schreibgespräch beim Regen
Kleines Schreibgespräch beim Regen
Published on August 8th, 2010 @ 23:08:39 , using 1071 words,
Es regnet.
Wir gingen um 03:30 zu Bette.
Morgens um 07:45 piept mein Wecker: Seewetterbericht. Ich drehe mich auf die andere Seite, will weiterschlafen.
Es regnet. Als wir aus unseren Träumen krabbelten, war es 11:30. Es regnet immer noch. Tja, dann wird das wohl nichts mit unserem Fahrradausflug nach dem 5 Km entfernten Zinnowitz. Und was machen wir jetzt?
Duschen, draußen regnet es, der Weg zum Duschen kostet Überwindung, denn der Bootssteg ist 50 Meter lang und es regnet.
Langes Frühstück.
Kleines Schreibgespräch
J: Wie geht’s dir denn heute, nach deinem ersten Segeltag gestern, der ja nicht ganz ohne war?
C: Der war nicht ganz ohne? Ich fand den eigentlich ganz gechillt.
J: Und als du die Fock hochgezogen hast und sie dir um die Ohren schlug, war das nicht irgendwie bedrohlich für dich?
C: Das war aufregend, aber bedrohlich eher nicht. Bedrohlich finde ich (ganz subjektiv) jedes Mal den Schritt aufs Boot vom Boot herunter auf den Steg.
J: Du scheinst ein ziemliches Vertrauen in die Segelei zu haben, denn das alles ist doch völlig neu für dich und „unbegreiflich“ und unerwartet und voller rätselhafter Vorgänge????
C: Ja, alles ist neu, aber neu heißt ja nicht gleichzeitig bedrohlich. Natürlich ist es das potentiell. In die Segelei selbst habe ich wohl auch eher weniger Vertrauen. Ich kenne sie ja kaum. Dafür bin ich um so zuversichtlicher, dass du uns schon sicher wieder ans Festland bringst mit all deinen Erfahrungen.
J: Mhhmmmm, ja Danke, es gab aber eine Situation, wo du anscheinend aufgeregter warst: als du auf das fremde Segelboot zusteuern solltest, das in Richtung Hafeneinfahrt uns entgegen kam.
C: Ja klar. Du warst unter Deck und ich kenne die Regeln auf dem Wasser noch nicht. Wer weicht wann warum wem aus? Auch die Entfernungen und Geschwindigkeiten zu schätzen ist nicht so einfach. Das war mir also in dem Moment zu viel Verantwortung.
J: Ja. OK. Ansonsten muss ich sagen, dass du alles derart cool und unaufgeregt gemacht hast, dass mich das wirklich erstaunt hat. Das habe ich selten an Bord erlebt. Meistens waren die Menschen davon so angestrengt alles richtig zu machen, dass man ihnen die Anstrengung physisch ansah.
C: Naja, es war doch aber gestern wirklich ganz ruhig. Kein Sturm, nur eine relativ kurzer Trip. Das sind doch herrliche Startbedingungen. Heute gab's dann direkt viel Zeit zum Ausruhen und Kaffeetrinken und Süßigkeiten essen (ich plündere Jörgs Vorräte). Hey Letzteres ist vielleicht doch 'ne physische Auswirkung ;).
J: OK, Sturm war nicht, aber in dem Wind war ne ganze Menge Kraft. Wenn die Fock mit der Zweigangwinsch nur unter Aufbietung aller Kräfte dichtzuholen ist, und MISS SOPHIE mit ihren 5 Tonnen auf 6 Kn bringt, dann ist da ne Menge Power in dem Wind gewesen – deshalb meinte ich, das war ja durchaus am Anfang nicht ganz ohne.
C: Ich dachte mir ganz einfach: Das ist Segeln. Da ist der Wind. Hier ist unser Segel. Da ist Kraft. Das Boot kann nicht umkippen (das musste ich mir mehrmals ganz, ganz klar sagen) und es kann nix passieren.
J: SUPER. So hätte ich mir gerne meinen Einstieg in die Segelei auch gewünscht, aber mir hat man derart viel Angst vor dem Wasser und der Seefahrt von zu Hause aus mitgegeben, dass ich viele, viele Jahre immer nur mit Angst ausgelaufen bin.
C: Und wie war dein erstes Mal Segeln?
J: So, wie ich es von den vielen anderen gerade beschrieben habe: ich wollte von Anfang an alles richtig machen und stand richtig unter Strom: Ich wollte ein richtig guter, souveräner, erfahrener Seemann werden und durfte das nicht (von zu Hause). Ich war im Konflikt mit meinen Selbstbild.
C: Da hat sich über die Jahre hinweg einiges geändert bei dir.
J: Und was?
C: Na, wenn du übermäßig unsicher wärst, würdest du keine Gäste an Bord empfangen, die es gilt, wieder heil ans Ufer zu bringen. Da spielen doch all deine Erfahrungen über die Jahre hinweg sicher eine bedeutende Rolle.
J: Nein, es geht da um einen anderen Punkt: Nämlich um die Frage, ob man sich seiner eigenen Erfahrungen sicher ist, oder ob man die eigenen Erfahrungen garnicht als zu sich gehörig empfindet und von sich abspaltet; so in dem Sinne, was nicht sein darf, kann nicht sein. Und wenn ich von zu Hause aus eingeimpft bekommen habe, dass das Wasser tötlich ist, dann dürfen meine durchaus guten Erfahrungen mit dem Segeln auf dem tötlichen Wasser nicht sein. Diese Erfahrungen werden dann von mir nicht als eigene, zu mir gehörige, von mir selbst gemachte Erfahrungen erlebt, sondern als etwas Fremdes, nicht zu mir Gehörendes.
C: Dieses Phänomen kann ich nachvollziehen. Wie kommt es dann aber, dass du es verantworten kannst, Unerfahrene mitzunehmen? Anscheinend gehst du davon aus, dass alles gut verläuft und du sogar noch einen Blick auf eine Lernende/ einen Lernenden haben kannst, wie ein Fahrlehrer im Auto, der immer doppelt schauen muss.
J: Ich habe ja von meinen Anfängen des Segelns gesprochen, aber durchaus auch von sehr viel späteren Jahren. Aber wenn ich auf etwas stolz bin, dann nicht auf meine Uni-Examen, nicht auf meine Filme, nicht auf meine Preise, sondern darauf, dass ich nach dreißig Jahren auf dem Wasser den Punkt erreicht habe, dass ich mich nirgendwo anders so sicherer fühle, wie auf meinem Segelboot auf dem Wasser; dass ich meine eigene Geschichte an diesem Punkt in die andere Richtung bringen konnte, dass ich aus der Geschichte meiner (Eltern-)Familie an diesem Punkt ausgestiegen bin und meine eigene Geschichte begonnen habe: Seemann werden. Das war harte Arbeit. Und nun bin ich stolz drauf. Und ich glaube, dieses Gefühl hast du gespürt: dass dir an meiner Seite auf MISS SOPHIE nichts passieren kann.
C: Ja, das kann gut sein. Davon bin ich ausgegangen, als ich an Bord gekommen bin. Nur den Schritt auf das Schiff und wieder herunter – den muss ich immer allein machen, weshalb es wohl der schwierigste Part ist. So jetzt reichts aber mit dem pathetischen Ausflug. Was haben wir heute eigentlich gemacht?
J: Wir haben einen ausführlichen Gang durch die Weltgeschichte unternommen: was erinnern wir mit jeweiligen Jahreszahlen an geschichtlichen Ereignissen und haben uns so von 1871 und Bismark bis zu den Phöniziern durchgearbeitet und danach von 1871 bis zur Wende 1989. Zunächst allein mit Hilfe unseres sehr löcherigen Gedächnisses und dann nochmal gegengelesen bei dem Herrn Henrik van Loon („Geschichte der Menschheit“, kleines Geschenk an Caro aus der Bordbibliothek der MISS SOPHIE).
Es regnet immernoch.
Salat. Spaghetti mit Tomatensauce und Kräutern und Parmesan und Rotwein.
Draußen regnet es.
1 Kommentar
Danke, dass ich an eurem intensiven Erfahrungsaustausch teilhaben kann. Wirklich sehr spannend. Und Caro, ich bin sehr stolz auf dich! Ich denke, das muss hier mal gesagt werden.
Wieviel Kisten Rotwein habt ihr eigentlich an Bord? ;-)
Ahoi