Totalausfall der gesamten Navigationselektronik kurz vor dem russischen Hoheitsgebiet
Totalausfall der gesamten Navigationselektronik kurz vor dem russischen Hoheitsgebiet
Published on Juli 15th, 2025 @ 09:43:00 , using 1146 words,
Totalausfall der gesamten Navigationselektronik kurz vor dem russischen Hoheitsgebiet
Von Lipaja nach Leba (Polen), 165 sm - aber es kam anders
Die Wetterprognosen, die wir bekamen, waren zwar einerseits gut, weil sie
für praktisch 3 Tage segelbare Windrichtungen versprachen, andererseits
waren darin aber einige Windstärken angekündigt, die gut zu überlegen waren.
Für Samstag 23:00 verkündete der windfinder für das Seegebiet südlich von
Lipaja als halben Wind 15 - 25 kn an, das sind 3 - 6 Bf - ist für die
beginnende Nacht nicht das, was man sich wünscht - zumidest nicht bei einer
Mannschaft, die die 65 Jahre längst überschritten hat.
Für die Nacht dann 4 aber in den Morgenstunden dann wieder 6.
Den Tag über dann 3-4 aber für die beginnende Nacht werden wieder 6 Windstärken
prognostiziert.
Aber dann ist auf Miss Sophie eine Mannschaft, die seit 36 Stunden praktisch
nicht geschlafen hat.
Das sind Segelbedingungen, die ich mir nicht für mein Alter wünsche.
Aber die Alternative wäre, im Hafen zu bleiben und vier Tage später wäre ich
allein und nichts würde mehr gehen.
Volker sagte nur, du bist der Skipper, du musst entscheiden.
Also was tun?
Das ist eine Scheiß Situation. Nähmlich für die Entscheidung eigentlich keine
Alternative zu haben.
Und der beruhigende Hinweis, dass es sich nur um Prognosen handelt ist nicht
beruhigend, denn es kann auch sehr viel schlimmer kommen - zumindest für kleine
Seegebiete, die sich nicht nach den großräumigen Wetterprognosen richten, sondern
eigene kleine Windgebiete bilden können (siehe meinen Bericht über den
nirgend wo angekündigten Gewittersturm vor Ruhnu).
Also was tun?
Die Alternative dazu wäre, dass ich mir hier in Lettland einen Segler suchen
muss, der mich auf den nächsten Etappen begleitet, der erfahren sein muss,
dass Seegebiet kennen muss und den ich hier finden muss, ohne die Sprache
zu sprechen.
Also was tun?
Ich gebe zu, ich war recht entscheidungsunfähig.
Ich lief bestimmt eine halbe Stunde im Kreis herum.
Aber das nütze nichts, ich konnte mich vor der Entscheidung nicht drücken.
Zum Schluss habe ich JA gesagt, das Schiff kann das ab, ob die Mannschaft das
abkann, werden wir sehen, aber einigermaßen gut gerüstet sind wie dafür.
10:45 machen wir die Leinen los, die Sonne scheint, das Baro steht auf 1006
schon seit Tagen, was eine stabile Wetterlage verspricht.
Um 11:40 ist die Fock oben, SE 1-2, 2 kn.
Um 12:00 sind wir an unserem ersten waypoint - es ist schönes sanftes segeln -
aber für unsere Strecke von 165 sm ein Witz, denn mit diesem Wind werden
wir eine ganze Woche brauchen.
um 13:00 ist der Wind gänzlich weg - also muss Mr VETUS ran.
Uns besuchen mitten auf dem Meer tausende kleine bis mittelgroße Fliegen, die
sich überall festsetzen und rumkrabbeln.
Und wir haben eine merkwürdig hohe Dünung, die wohl in einem anderen Seegebiet
entstanden sein muss unter erheblich Wind.
Um 18:00 blauer Himmel und Sonne - aber kein Wind.
Um 19:30 dannn endlich wieder ein bisschen Wind und wir laufen 3 kn.
Um Mitternacht stehen wir jetzt nahe dem beginnenden russischen Seegebiet.
Es ist sehr dunkel.
Der Mond, der am Horizont bei untergehender Sonne als ein riesiger dunkelroter
Ball über die Kimm aufstieg, war bald hinter dunklen Wolkenbänken verschwunden,
die Regen versprachen.
Und plötzlich ist unser Kartenplotter dunkel.
Wir gucken uns etwas verstört an, dann schalte ich ihn aus und wieder an.
Und er zeigt völlig bescheuerte Werte: Geschwindigkeit 80 kn, völlig anderes
Seegebiet und andere Kompassrichtung der Fahrt.
OK, ich schaue auf unseren Apelco GPS-Empfänger: das Gleiche.
Völlig verrückte Werte.
Jetzt gibt es noch einen alten GARMIN-Hand-GPS.
Angeschaltet - findet keine Satelliten.
Jetzt die letzte Möglichkeit: Handy.
Bekomme keine Werte.
Jetzt sehen wir ziemlich alt aus.
Kurz vor dem Seebebiet der Russen ohne Navigation ist Selbstmord.
Da sind wir schneller aufgebracht als wir denken können.
Wieder die Frage was tun?
Solange ich unter Deck alle meine Möglichkeiten durchchecke, bleiben
wir mit 2 kn auf unseren alten Kurs.
Dann ist klar: wir müssen zurück oder jetzt auf die Litauische Küste
zuhalten.
Um 02:45 geht plötzlich der Kartenplotter.
Unsere Position: 56-09 N, 20-06 E
Ich kann eine Kurslinie auf die Ansteuerungstonne von Klaipeda absetzen,
dann ist der Kartenplotter wieder platt.
Alle anderen Instrumente natürlich auch.
Wir sind rund 30 Meilen vor dem russischen Hoheitsgebiet - aber mit einem
Kurs in den nördlichen Zipfel hinein.
Das aber dürfen wir wohl nicht - aber sichere Informationen haben wir
darüber nicht. Ob der Ausfall der Navigation auf russische Störsender
zurückzuführen ist????
Volker sagt, er habe davon irgendwo gelesen.
Aber dem werden wir einen Strich durch die Rechnung machen.
Wir müssen die Fock runternehmen, denn unsere Kurslinie geht direkt
gegen den Wind , der zum Glück nicht stark ist.
Wir können jetzt nur nach Kompass steuern, in dem wir dem beleuchteten
Sestrel-Kompass die vom achterlichen (richtig anzeigenden) Kompass die
Kurslinie gegeben haben und lassen Mr. VETUS an die Arbeit.
Langsam wird es wieder etwas heller, wir haben kurzzeitig etwas Regen,
aber nicht viel, vielleicht eine halbe Stunde leichten Landregen.
Um 07:20 ist wieder etwas Wind da und wir setzen die Fock und gönnen
Mr. VETUS eine Pause.
Um 10:00 Uhr kommt der Wiund jetzt direkt gegenan. Fock runter, Mr. VETUS
an die Arbeit und es wird ein mühsehliges Gegenanboxen gegen die sehr
kurzen und recht hohen Wellen, sodass er mit 1600 Umdrehungen laufen muss.
Irgendwann lege ich mich für eine SDtunde angezogen in die Koje,
später macht das Volker für eine halbe Stunde ebenso, denn dieses Motoren
empfinde ich als sehr anstrengend: die Augen auf die Kompassrose und
mit der Pinne korregieren eigentlich bevor der Kompass dies anzeigt,
denn jede größere Welle bringt Miss Sophie geringfügig aus dem Kurs
und muss korrigiert werden und stoppt sie ausserdem auch noch ab.
Gegen Nachmittag wird die See ruhiger, das steuern einfacher, wir können
die Drehzahl vom VETUS nach unten korrigieren, was weniger Dieselverbrauch
zur Folge hat und es wird eigentlich ein freundlicher Tag.
Aber es sind über 40 sm, die wir bis Klaipeda vom Abbruch unseres Kurses
zurück legen müssen - bei unserer Geschwindigkeit um die 20 Stunden -
das sitzt man nicht mal schnell auf einer Backe ab.
Die Geräte spinnen immer noch.
Kurz vor der Einfahrt in die Dane sind plötzlich alle Geräte wieder in Ordnung:
Der Kartenbplotter zeigt uns wieder unseren Schiffsstandort bis auf wenige
Meter genau, der GPS-Empfänger zeigt wieder die richtigen Koordinaten,
das handy ebenfalls.
Mir kommt der Gerdanke, ob das vielleicht ein Ergebnis von russischen
Störversuchen sein kann?
Volker sagt, er habe irgendwo so etwas gelesen.
Unmöglich scheint mir das nicht zu sein.
Muss recherchiert werden.
Aber langsam kommt der Gedanke auf, wenn das kein Einzelfall gewesen sein soll,
wie komme ich dann zurück?
Übrigens sind wir direkt auf unserer geplotteten Kurslinie.
Das herrkömmliche System, nach Kompass und Karte zu navigieren und zu
steuern, scheint immer noch zu funktionieren.
Um 19:00 machen wir in dem kleinen Seitenarm, der Dane, an der Kaimauer fest.
Ich schlinge noch schnell das von Volker gekochte Essen runter (Kartoffeln
und ein Stück gebratenen Speck), dann Falle nach 26 Stunden in die Koje und
stehe nach erst wieder nach 12 Stunden Schlaf wieder auf - noch etwas benebelt
aber doch wieder unter den Lebenden.
Übrigens haben wir in den nächsten zwei Tagen zumindest hier in Klaipeda Flaute.
Nachtrag:
eine kurze REcherche im internet unter der obigen Überschrift dieses Beitrages hat unsere
Vermutung bestätigt.
Als ziemlich sicher gelten als Ursache russische Störmanöver, über die die zivilie Luftfahrt
ebenso leidet wie die Schifffahrt.