Törnbericht: 55 Seemeilen an der polnischen Dünenküste lang - und was das mit dem Bauch der Mutter zu tun hat - von Darwolo nach Leba, 2. Teil
Törnbericht: 55 Seemeilen an der polnischen Dünenküste lang - und was das mit dem Bauch der Mutter zu tun hat - von Darwolo nach Leba, 2. Teil
Published on Juni 13th, 2011 @ 19:35:02 , using 947 words,
Um 07:30 war ich auf Kurs 30 Grad über Grund, NW gute 4, Groß und Fock und MISS SOPHIE lief zwischen 5 und 6 Knoten.
Um 09:00 Uhr hatte ich das Leuchtfeuer Jaroslowiec querab, das den Beginn des militärischen Sperrgebietes bezeichnet, das aber heute (Sonntag) zur Durchfahrt freigegeben ist.
Ich änderte meinen kurs auf 65 Grad und jetzt begann die lange Zeit an der Pinne, denn für dieses Törn würde ich zwischen 11 und 14 Stunden brauchen.
Um 11:00 wurde ich etwas schläfrig.
Ich war etwas ungnädig über diesen langen Törn, der mich so lange an die Pinne zwingen würde. Und das war verbunden mit einem Gefühl von mich Scheiße zu finden, mich nicht geliebt zu finden, vom Wetter, vom Wind, von den geografischen Gegebenheiten und und und.
Ich begann darüber nachzudenken.
Ich machte das ganze ja freiwillig und ich erwartete eigentlich von mir, dass ich das mit der entsprechenden Freude machen würde. Aber auch freiwillig übernommene Arbeiten sind ja nicht immer lustig und schön. Trotzdem war ich unzufrieden mit mir, denn ich wusste, dass Segeln mein Traum war und jetzt segelte ich und der Traum war nicht da.
Damit wollte ich mich nicht zufrieden geben.
Und während ich so über mich nachdachte, merkte ich plötzlich, wie das Steuern meines Schiffes völlig unbewusst ablief.
Der jetzt achterlich aufkommende Wind und die von achterlich auflaufenden Wellen, die ein bis eineinhalb Meter hatten, hoben hinten mein Schiff an, weil sie dort früher auf mein Schiff stießen als vorne, hoben es an, schoben es nach vorne, beschleunigten es also, so das der Bug, der noch langsamer war, weil ihn die Welle noch nicht erreicht hatte, nach Luv gedrückt wurde und ich merkte, dass ich der MISS SOPHIE das überlassen konnte, wie sie am besten mit diesen Wellen umgeht. Sie schmiegte sich an, legte sich nach Lee über und kletterte mit dem Bug über die Welle und ich brauchte dann auf dem Kamm der Welle ihr nur mit zwei Finger an der Pinne zu sagen, dass sie jetzt wieder auf den alten Kurs gehen solle, was sie sofort ganz freiwillig und willig tat.
Und ich merkte, dass ich mit meiner Aufmerksamkeit garnicht mehr hier auf See war, sondern bei mir und das Steuern meines Schiffes längst meinem Unterbewusstsein überlassen hatte.
Und plötzlich begann ich mich zu freuen.
Darüber, dass ich mich so über diesen langen Törn geärgert hatte, dass ich dann darüber anfing, darüber nachzudenken, warum ich mich darüber so ärgerte und plötzlich dieselbe Situation von der ganz anderen Seite ansah und mich zu freuen begann, wie schön es doch ist, so innig verbunden mit einem Schiff und einer Situation zu sein, dass man darüber garnicht mehr nachdenken muss und es ganz selbstverständlich ist, so, als könne es garnicht anders sein.
Und ich begann weiter nachzudenken.
Dieses achterliche Angehoben werden, das sich auf die Leeseite Legen des Schiffes, das kleine Anluven zum Wind hin und die darauf folgende kleine Kurskorrektur, die so willig vom Schiff ausgeführt wurde, dass sie mit einem Finger machbar war – an was erinnerte mich das?
Was war daran für mich so schön und so vertraut, dass es so automatisch ablief?
Ich glaube es ist die uralte Erinnerung an den Bauch meiner Mutter, in der ja ähnliche Bewegungsabläufe für mich abliefen.
Bei dem einen Schritt von ihr mit dem linken Fuss wurde ich nach Lee geworfen, bei dem darauf folgenden Schritt mit dem rechten Fuss, nach Luv.
Und jedes Kind muss diesen ganz spezifischen Gang seiner Mutter und die damit verbundenen Bewegungsabläufe sich aneignen und als seine ganz spezifische Eigenart erleben, mit der vermutlich auch sein Rhythmusgefühl entscheidend geprägt wird.
Ich glaube, dass diese Erinnerung an den Zustand des Paradieses, und was anderes ist ja das Leben im Bauch der Mutter in der Regel nicht, im Bauch meiner Mutter mich dazu hier brachte, einfach etwas zu tun, von dem ich das Gefühl hatte, es mein Leben lang getan zu haben.
Mit diesen Gedanken und Erinnerungen und Gefühlen gingen die Stunden so vor sich hin.
Der Wind war gleichmäßig, die See wurde langsam weniger und ich begann, Admiral von Schneider auf seine Aufgabe vorzubereiten.
Dann ging ich unter Deck, ein längerer Gang zum WC stand an, ich hatte noch ein bischen in der Karte geguckt und noch mal im Handbuch die Hafeneinfahrt gelesen und dann ging ich erfrischt nach oben, habe ein paar Filmaufnahmen gemacht und dann wieder an die Pinne, denn optimal steuert mein Admiral von Schneider mein Schiff nicht. Es fiel auf 4,5 Knoten zurück und das war mir zu wenig, also ging ich wieder an die Pinne und brachte es auf 5,5 – 6 Knoten.
Um 13:00 habe ich das Festfeuer Rowy querab und der Wind kam nun von West und wurde weniger.
Und das gleiche Spiel von vorhin begann: ich ärgerte mich darüber, wie mir der Wind dies antun kann und das gleiche Spiel begann von vorn – nur diesdmal mit einem anderen Ausgang.
Komm Streese, du bist müde, zugegeben, also tu was, das du wieder in die Gänge kommst. Was war zu tun?
Großsegel runter, Fock weg und austauschen gegen die Genua und dich dann von dem Platt vor dem Laken kommenden Wind ziehen zu lassen.
Nun ist das nicht mal eben getan.
Beidrehen, Groß runter, Fock runter.
Jetzt begann das Schiff natürlich zu rollen: es lag quer zur See, und die Wellen ließen es von Backbord nach Steuerbord überholen, immer und immer wieder, dabei sich an Deck zu bewegen ist schwierig und gefährlich, denn man ist schnell außenbords.
Eine halbe Stunde dauerte das Manöver, dann war ich wieder auf Kurs und ich musste die geigende MISS SOPHIE sehr aufmerksam die nächsten drei Stunden steuern, denn wenn immer sie sich nach Lee überlegte, fiel der Wind von der falschen Seite ins Segel, aber ich fuhr wieder 4-5 Knoten.