von Jörg Streese

Minna von Barnhelm auf Miss Sophie

Minna von Barnhelm auf Miss Sophie

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Published on Mai 28th, 2017 @ 18:15:00 , using 689 words,
Minna von Barnhelm auf Miss  Sophie

 

Es ist wärmer geworden, dafür setzt aber ein leichter Landregen ein.

Also lesen.

 Ich greife ins Bücherregal und ziehe blind Lessings Minna von Barnhelm heraus.

Na gut, denke ich, 55 Jahre nicht in die Hand genommen, schaun wir mal, ob es mich jetzt noch anspricht, denn ich hatte keine Erinnerung mehr, wie ich es damals aufgenommen habe.

Kurz gesagt eine Geschichte um Liebe und Ehre in den fünfziger Jahren des 18. Jahrhunderts zwischen - natürlich, das frühe Hollywood lässt grüssen - einem blutjungen, reichen und zu dem auch noch hübschen Mädchen und einem alten, am Arm verletzten, und zum Zeitpunkt der Handlung verarmten, aber verdienten, erfolgreichen Hauptmann. Beide sind schon miteinander verlobt, aber die Ehre von Hauptmann Tellheim lässt es nicht zu, in diesem seinem jetzigen gesellschaftlichen Zustand die Verbindung aufrecht zu erhalten. Das kommt davon, wenn man Ehrgefühle hat. Minna, seine Verlobte, aber will die Verbindung unbedingt und muss alle fraulichen Künste (vergeblich) anwenden, um ihn zu Heirat zu bewegen. Die wird erst möglich, wenn er als vollkommen rehabilitiert dastehen kann.

Ich las es mit grossem Interesse, weil der Sprach- und Situationswitz selbst nach über 200 Jahren bei mir übersprang und ich glaube, gut gespielt, auch heute noch auf Bühnen Erfolg haben kann. Beispiele: "Oh, man ist auch verzweifelt wenig, wenn man weiter nichts ist, als ehrlich." (III, 2) "Was wir immer bringen, wenn wir nichts bringen: Ein Kompliment." (I, 8) 

 Und sein Inhalt?

Das Stück stellt die sich ja gerade entwickelnde bürgliche Gesellschaft gehörig zugespitzt auf den Kopf: von Tellheim: "Vernunft und Notwendigkeit befehlen, Minna von Barnhelm zu vergessen" (II, 9), weil es sein Ehrgefühl nicht zulässt, worauf Minna nur antworten kann: "wie vernünftig diese Vernunft, wie notwendig ist diese Notwendigkeit" (ebenda).

Konnte man, kann man die ungeschriebenen Gesetze einer Gesellschaft als einzelner Mensch ausser Kraft setzen, die die Rationalität auch dort an oberste Stelle stellt, wo in Herzensangelegenheiten doch nur das Herz zu entscheiden hat? Und ist das heute so ganz anders?

Minna: " Franziska, wenn alle Mädchen so sind, wie ich mich jetzt fühle, so sind wir - sonderbare Dinger. Zärtlich + stolz, tugendhaft + eitel, wolllüstig + fromm. Ich verstehe mich wohl selbst nicht." (II,7)

Ja, wenn die Gefühle in Aufruhr sind, ist Mensch nicht zu verstehen, denn dann spricht sein tief verborgenes Unbewusste, und das spricht eine andere Sprache, als die des Kopfes, denn der begreift sowieso nur vielleicht 4 % dessen, was sich in seinem Körper und damit in seinem Unbebussten tut und wovon die Gefühle nur die Oberfläche dieses riesigen Ozeans darstellen. "Sobald wir tief leben, sind wir Kind" sagt Georg Groddeck, Zeitgenosse von Siegmund Freud, den er sehr verehrte und mit ihm befreundet war, obwohl er später dann doch ganz andere Wege beschritt. "Ich bin der Ansicht, dass der Mensch vom Unbekannten gelebt wird. In ihm ist ein ES, irgendein Wunderbares, das alles, was er tut und was mit ihm geschieht, regelt. Der Satz 'ich lebe' ist nur bedingt richtig...Der Mensch wird vom ES gelebt. ... Und noch eins. Wir kennen von diesem ES nur das, was innerhalb unseres Bewusstseins liegt. Weitaus das meiste ist unbetretbares Gebiet." (Groddeck, Das Buch vom ES, Kap. 2)

Aber zurück zu Minna und ihrer Verwirrungen der Gefühle. "Sehe sie sich doch den Menschen in den Augenblicken tiefsten Leidens, tiefster Freude an: Das Gesicht wird kindlich, die Bewegungen werden es, die Stimme bekommt die Biegsamkeit wieder, das Herz klopft wie in der Kindheit, die Augen glänzen oder trüben sich." (Ebenda) Und wenn Minna in diesem Moment tiefster Gefühle hin- und hergerissen ist zwischen Tugendhaftigkeit und Eitelkeit, zwischen Wolllüstigkeit und Frommheit, dann ist sie hier wieder Kind, weil wir nur auf der kindlichen Stufen tief fühlen können.

Also ein Stück, was man durchaus geniessen kann, um Verbindungen zu uns heute herzustellen, die manchmal überraschen, weil, wie schon gesagt, das Stück über 250 Jahre alt ist. Hut ab vor diesem Lessing.

Draussen wird es wärmer, 1021, und die Hockdruckzone scheint stabil zu sein. Die Werft saniert das Unterwasserschiff und das Deck, ich verstärke mit Spanten das Niedergangsluk, nähe ein neues Mückenetz für den Niedergang und finde endlich den Fehler beim NAVtex-Gerät: Beim Schalter löste sich immer wieder der Draht aus der Klemmbuchse, mit dem das Gerät mit Strom versorgt wird, wenn ich den Deckel zu machte.

1 Kommentar

Kommentar von:
pensionaer

Hallo Jörg,
schön dass du gut angekommen bist. Meine Güte, was für Literatur hast du nur an Bord. Vielleicht bringt Albert ja etwas modernere Literatur mit.
Was macht das Wetter? Hier ist der Sommer angekommen.
Wann kommt die gute alte Lady wieder in´s Wasser?

Hast du inzwischen Ersatz für die “verschwundenen” Läden und Cafe gefunden? Es ist bescheuert, wenn solch netten Läden dicht machen.

Bis die Tage
Matthias

29.05.2017 @ 15:15


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