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Törnbericht: Mit drei Reffs im Großsegel nach Riga

Törnbericht: Mit drei Reffs im Großsegel nach Riga

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Published on August 11th, 2011 @ 09:21:13 , using 1380 words,
Törnbericht: Mit drei Reffs im Großsegel nach Riga
Törnbericht: Mit drei Reffs im Großsegel nach Riga
Törnbericht: Mit drei Reffs im Großsegel nach Riga
Törnbericht: Mit drei Reffs im Großsegel nach Riga
Törnbericht: Mit drei Reffs im Großsegel nach Riga
Törnbericht: Mit drei Reffs im Großsegel nach Riga
Törnbericht: Mit drei Reffs im Großsegel nach Riga
Törnbericht: Mit drei Reffs im Großsegel nach Riga

 

Mit drei Reffs im Großsegel nach Riga



Die Wetterkarte war eigentlich eindeutig: für den Rigaischen Meerbusen waren Winde aus SüdWest angesagt zwischen 2 und 4 Beaufort, eher ein bischen weniger am Vormittag und die Großwetterlage versprach eine Okklusionsfront, die aus Westen ankommen würde.

Dies hätte mir zu Denken geben müssen – tat es aber nicht, weil der Himmel am Morgen nach meiner Meinung ganz gut ausssah (Bild 1): Cumuluswolken, die eine breite Basis haben und deren Gipfel plattgedrückt sind.

Hätte ich in dem zweiten Wetterbuch nachgeschlagen, dann wäre mir zu einem ähnlichen Bild der folgende Text aufgefallen und hätte mein Auslaufen möglicherweise verhindert:“ Vorkommen: Im Warmsektor vor Annäherung einer Kaltfront (Gewitter an der Front, längerer Regen nach Frontdurchgang)“.


Als ich um 09:00 losmachte, kam noch der junge Hafenmeister und berichtete mir, dass das Segelboot, das gestern neben mir am Steg lag, und mit dessen Skipper ich noch kurz gesprochen hatte, weil er mit seinen gerade angekommenen Chartergästen nach Riga wollte und ich nur auf die Wolken hinwies (siehe gestrigen Blog), dass dieser Skipper bei den hohen Wellen, die sich im Laufe des Tages im Rigaischen Meerbusen gebildet hatten, über Bord gegangen sei und von seiner unerfahrenen Mannschaft nicht wieder gefunden werden konnte. „And we are worried about you, because you are allone.“


Das heitert einen natürlich geradezu auf, wenn man gerade die Leinen losgemacht hat, um den gleichen Törn zu beginnen.


Anfangs war der Wind 2 und ich dachte, da er mehr werden sollte, ich versuche mal, bei dem halben Wind die Genua ziehen zu lassen. Aber er kam nicht aus SüdWest, sondern aus SüdSüdOst, also spitz gegenan und ich musste die Genua gegen die Fock auswechseln und dann das Groß dazusetzen, weil ich bei den wenigen Windstärken möglichst viel Fahrt haben wollte, um die Strecke von ca. 40 Seemeilen möglichst schnell zu bewältigen.


Dann begann sich das Wolkenbild völlig zu verändern: Es begannen sich große, gewaltig in die Höhe reichende Cumuluswolken auszubilden und vor mir nahm meine Aufmerksamkeit eine Schauerwolke ein, in der ich viel Musik vermutete (Bild 2). Der Wind hatte auch schon zugelegt und ich ich segelte mit 5 – 6 kn und überlegte, auf welcher Seite ich sie am besten umsegeln könne, wobei mir noch nicht klar war, in welcher Richtung sie eigentlich zog.


Seit einer Weile beobachtete ich mit Sorge, wie sich hinter mir über dem Festland langsam eine Gewitterfront ausbildete, die den ganzen hinteren Horizont einnahm (Bild 3). Aber bei dem seitlich einkommenden Wind sagte ich mir, dass ich hier auf der sicheren Seite sei, weil das Gewitter nach Norden ziehen würde, entlang der Küste.

Aber Gewitter haben ihre eigene Logik.


Über dem Festland begannen nun die Blitze und eine halbe Stunde später war es dann über mir (Bild 4).


Wegen der vor mir liegenden Schauerwolke und der hinter mir langsam auf mich zukommenden Gewitterfront, hatte ich nun das Großsegel runtergenommen und segelte nur mit Fock. Und das war auch gut so.

 

Während die Schauerwolke scheinbar stationär lag und je näher ich ihr kam, sich langsam aufzulösen schien, war dann plötzlich die Gewitterfront da und als ich gerade meine Sonnenbrille gegen meine normale Brille eintauschte, wozu ich ganz kurz nur die Pinne loslassen musste, weil ich den Niedergang schon zugemacht hatte und dafür kurz mit dem Kopf unter Deck musste, schoss der Wind hinter mir um 90 Grad nach NordWest und legte meine Fock back. Bis ich begriff, was passiert war und mich erstmal orientieren musste, wo jetzt eigentlich Nord, Süd, Ost und West waren, denn es gab hier keine Landorientierung, brauchte es eine Zeit. Und es fing an, wie aus Kübeln zu gießen – aber das war mir ja vorher schon klar und deshalb war ich längst in meinem Helly-Hansen-Overall.


Ich hatte freien Seeraum und als mir klar wurde, was passiert war, war der Wind auch schon annähernd wieder aus der alten Richtung da, allerdings jetzt deutlich als Süd-Ost, was für mich halben Wind bedeutete, und ich ging langsam wieder auf meinen Kurs.


Um 14:00 Uhr dann kam aus dem mit keinem Anzeichen vorwarnenden Himmel eine Bö, die MISS SOPHIE auf die Seite legte und sie in den Wind schoss und nach Süden abzischte. Das Rigg begann zu rütteln und ich war heilfroh, dass ich die Wanten und Stagen um 1 Millimeter verstärken lies. Die Fock tauchte auf der Leeseite immer wieder in die Fluten und nachdem nach einer Viertelstunde die Bö immer noch nicht aufgehört hatte, entschloss ich mich, weil auch das Auffieren des Grosssegels das Rütteln nicht beendete, zu Reffen.

 

Ich drehte bei, fierte den Großbaum auf, kletterte zum Mast, und löste die Mastrutscher und nahm die 2. Reffleine und zog sie durch.

Als ich das Großsegel nicht richtig wieder hoch bekam, schaute ich, was der Grund war.

In der Meinung, die schwarze Leine sei die 2. Reffleine, hatte ich die dritte Reffleine durchgezogen, das Großsegel aber am Mast mit der zweiten Reffkausch belegt. Ich entschloss mich rasch, das Segel auch hier schnell mit der dritten Reffkausch zu belegen und was passierte: MISS SOPHIE schob mit 6-7 kn durch die Wogen und lag herrlich ausgeglichen auf dem Ruder, dass ich es fast als Sonntagssegeln empfand, weil ich langsam freudig ausrechnete, wann ich wohl bei dieser Geschwindigkeit in Riga ankommen würde, denn ich segelte nun schon seit Stunden deutlich über 5 kn.


Um 15:00 ging die Geschwindigkeit langsam immer öfter runter auf 4-5 kn und ich entschloss mich, das dritte Reff auszuschütteln und mit dem zweiten Reff weiter zu segeln, weil der Himmel immer noch nach Böen aussah.


Gemacht, getan, MISS SOPHIE lief wieder mit 5-6 kn.


Ich fing mein Belohnungssystem wieder an, denn inzwischen stand ich seit 7 Stunden an der Pinne und hatte außer einigen Schlücken aus der Energy-Flasche nichts zu mir genommen.


Ich setzte mir die Marke 16:00 Uhr, dann würde ich den Kartenplotter befragen, wie weit es noch bis Riga ist und ich wettete (bzw. ich hoffte, wobei die Hoffnung nicht ganz unberechtigt war), das ich um 16:00 sechs sm vor dem Seekanal von Riga stehen würde.


Um 16:00 lüftete ich gespannt und aufgeregt das Geheimnis:
5,7 sm.

Dem sehr zufriedenen Skipper winkten nun drei Schlucks aus der Energy-Buddel und diesmal bekam auch MISS SOPHIE einen Teil davon, wegen hervorragender Leistungen.


Vor mir begann sich der Himmel über Riga verdächtig dunkelblau einzufärben und wenig später dann schossen auch schon die Blitze aus den Wolken (Bild 5).

Na prima, dachte, erst hinter mir ein Gewitter, dann über mir und jetzt segel ich in eins hinein. Was kann denn nun noch kommen? Eins von unten?


Inzwischen hatte sich auch eine entsprechende See aufgebaut, die mir aber keine Sorgen machte, weil sie querab reinkam, aber je näher ich dem Seekanal kam, begann die Frage, wo ich die Segel runter nehmen sollte.

Hier draußen im Seegang oder lieber im geschützten Bereich des Seekanals. Aber wie breit war der?

Jörn Heinrich wurde befragt und der sagte 500 Meter. Also unter Segel rein. MISS SOPHIE schoss, weil der Wind hier wieder stärker wurde, oder weil der Kanal wie eine Düse wirkte, mit 6,7 kn durch das Wasser und der Wind kam jetzt auch Spitz von vorne, als ich sah, dass eine riesige Fähre mir entgegen kam (Bild 6).


Aber ich vertraute darauf, dass das Wasser auch neben dem Tonnenstrich tief genug ist und als ich im Windschatten der Bäume und Gebäude des Seekanals war, hatte ich keine Mühe, die Segel in aller Ruhe herunter zu nehmen.


Etwas mußte ich noch nach dem Latvijas Jahtklubs suchen, aber dann war ich da, das Anlegen vor Murring-Boje klappte hervorragend und als ich MISS SOPHIE aufgestoppt hatte, konnte ich in aller Ruhe nach vorne gehen und einer hilfreichen Hand die Vorderleine in die Hand geben. Der war wohl sichtlich angetan von meinem Manöver und machte ein entsprechenden Zeichen mit dem Daumen und ich fühlte mich mit meiner Seglerseele wieder versöhnt, die doch stark gelitten hatte nach den ganzen falschen Wetterprognosen und entsprechenden unseglerischen Vorgängen der Vergangenheit.


Wenn Seglertage immer so aussehen, was brauch ich da noch das Paradies? Es ist doch da.


Nachts schoben dann noch weiter riesige Wolkenungetüme über den Himmel (Bild 8). Aber was gibt es schöneres, wenn man in einem sicheren Hafen liegt.

Es gibt noch schnell was zu Essen, Zwiebeln, Knoblauch, Tomaten und Mais im Wok, dazu ein Bier und ein paar Wodka und dann weiter in meinem neuen, eingetauschten Krimi über einen schwermütigen Forensiker, der sich in Todesgefahr begibt, als er sich an der Aufklärung eines zur Unkenntlichkeit zersetzten Toten beteiligt.

4 Kommentare

Kommentar von: Hellga Baltschun
Hellga Baltschun

Lieber Jörg,
nachdem ich mich in den letzten Wochen mehr über die Beschafffenheit und den Inhalt von Kartons befasst habe, war dieser Seglerkrimi eine echte Abwechselung!
Alles Gute bei Deinen weiteren Abenteuern!
herzlich
Hellga

11.08.2011 @ 10:20
Kommentar von: Urte Seidel
Urte Seidel

Lieber Jörg, nach Amrum, Rheinsteig und etwas Ostfriesland hat mich die Arbeit wieder und ich kann Dich jetzt auf Deiner Reise weiter begleiten. Wie weit Du schon gekommen bist!! Ich habe noch nicht alles geschafft nachzulesen, freue mich schon auf die Gegenden, die ich kenne: Kurische Nehrung, Memel, Klaipeda…
Jetzt melde ich mich erst mal bei Dir zurück und wünsche Dir noch ein wenig Sommer!
Liebe Grüße von Urte

16.08.2011 @ 20:14
Kommentar von: Urte Seidel
Urte Seidel

Ja, bist Du lebensmüde gewesen, loszufahren, wenn Du so gewarnt wurdest?! Bis hierher bin ich im rückwärts Lesen gekommen - nun mach ich für heute Schluss, sonst kann ich nicht schlafen.
Pass auf Dich auf! Gruß Urte

16.08.2011 @ 20:34
Kommentar von:
lothar.jentzsch

Hej Jörg,
das sind ja Abenteuer noch und nöcher. Aber nun bist Du erst einmal in Riga. Genieße die Stadt mit dem wunderbaren Jugendstil. - Bei mir beginnt morgen die Schule in der Jenaplan Reformpädagogik. Es ist irgendwie aufregend, auch an Land. - Tibor bereitet die Farbanstriche für das Musikzimmer vor. Wenn Du Dich noch an das Experiment 1999 erinnerst? Im Januar kannst Du ihn dann wegen eines Neubeginns selbst sprechen…
Liebe Grüße, Lothar

17.08.2011 @ 12:09


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