Tagebuch der Miss Sophie

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Hafenzeit ist Lesezeit: Wolfskinder

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Published on Mai 16th, 2010 @ 14:49:14 , using 664 words,
Hafenzeit ist Lesezeit: Wolfskinder

Endlich.

Das schöne Wetter ist da - mit sehr viel Wind und viel Kälte - aber die Sonne ist da und wird begleitet von wunderschönen kleinen, schnell vorbeischiebenden Schönwetterwolken.

 

Was sagen uns die Wolfskinder?

Erst einmal garnichts, weil sie nicht sprechen können.

Und auch dann nicht, wenn sie nach jahrelangen versuchen ausser ein paar Zweiwortsätzen ("trinken Milch") nie in ihrem Leben mehr das Sprechen lernen werden. Und auch andere soziale Fähigkeiten sich nur ausgesprochen reduziert ausbilden, etwa sich unter anderen Menschen in den uns bekannten Formen zu bewegen, nicht andere Leute anstarren oder ihnen das Essen wegnehmen etc.

Aber schon vor unserer Zeitrechnung begann das Interesse an ihnen: der ägyptische König Psammetich ließ ein paar neugeborene Kinder in die Wildnis bringen und unter Ziegen heranwachsen, weil man sich von ihrer Erforschung und Beobachtung versprach, die eigentliche Natur des Menschen zu ergründen - was er an sich hat und mitbringt ohne alle Erziehung und welches seine ursprüngliche Sprache sei. Das "Bek! Bek!" dieser Kinder, das sie von sich gaben, als man sie nach ein paar Jahren zurück holte, deutete der König als Phrygisch und also war die  Natursprache der Menschen Phrygisch.

Wolfskinder, Wilde Kinder sind Kinder, die ohne die soziale Umgebung, ohne zu Zuwendung anderer Menschen und ohne soziale und sprachliche Ansprache aufwachsen - und seit den ersten Funden solcher Kinder, die die Phantasie der Menschen seit jeher beflügelten, entbrannte ein Streit darüber, ob diese Kinder schwachsinnig seien und deshalb von den Eltern ausgesetzt wurden oder ob ihre geistige Unterentwickeltheit das Ergebnis ihrer Deprivation ist - eine Unterentwickeltheit, die nicht mehr aufzuheben ist.

Zusammenfassend referiert Dieter E. Zimmer in seinem überaus klugen und spannenden Buch "Experimente des Lebens", dass Kinder, die sich selbst überlassen wurden, weder zu einem Tier noch zu einem Menschen werden, sondern zu Kretins und dieser Zustand nicht korrigierbar ist.

Die Schlussfolgerung daraus ist für ihn folgender: "Der Mensch ist darauf angewiesen, in einer, irgendeiner menschlichen Gesellschaft aufzuwachsen. Sein menschliches Potential kann er nur im  Umgang mit anderen Menschen verwirklichen....Bleibt ihm dieser Umstand verwehrt, so wird er weder Mensch noch Tier, sondern zu einem körperlichen, sozialen, emotionalen und geistigen Krüppel."

Also ist der Mensch ein Wesen, das alles was es ist, lernen muss, nichts von Natur aus mitbringt?

Jein.

Die neuere Evolutionsbiologie sieht hier einen anderen Zusammenhang: "Der Mensch lernt das meiste von dem , was ihn ausmacht, aber er lernt nicht Beliebiges, er lernt nicht alles gleich gut, gleich rasch, gleich leicht, sondern er lernt vornehmlich das , was zu lernen er ausgerüstet ist, und er lernt es in den dafür vorgesehenen Zeiten in seiner Entwicklung."

"Die Rolle der Umwelt ist es, einen genetisch vorgegebenen Plan zu realisieren und zu stabilisieren. Der Plan ist vollständig da; aber zu ihm gehört, dass zu einer bestimmten Zeit ein gewisser Input erfolgt. Bleibt dieser aus, wird die vom genetischen Plan zum Lernen vorbestimmte Zeit verpasst, lässt sich das Versäumte später nur noch schwer oder garnicht mehr nachholen" - wie es bei den Wilden Kindern mit der Sprachentwicklung der Fall war. Wenn diese Sprachstimulanz nicht in einem engen Zeitfenster erfolgt, verknüpfen sich nicht die für die Sprachentwicklung notwendigen Verschaltungen im Gehirn und das, was bei jedem normal aufwachsenden Kind passiert, dass nach einer bestimmten Zeit die Sprachentwicklung explosionsartig anwächst, geschieht bei den Wilden Kindern überhaupt nicht, weil es an dieses kurze Zeitfenster gebunden ist und dies nicht nachzuholen ist. Und danach lernen sie nur noch mühselig Zweiwortsätze, haben Mühe einfachste Anweisungen zu verstehen und machen damit keine weitere geistige Entwicklung durch, die an Sprache gebunden ist.

Die nordischen Länder haben inzwischen begriffen, d.h. die Politik hat begriffen, was das bevölkerungspolitisch heisst:

Die besten Lehrer, Therapeuten und Diagnostiker müssen in die frühesten Einrichtungen für Kinder, um das Potential dieser Kinder optimal zu entwickeln, weil die hier gesetzten Bedingungen unausbleibliche und nur schwer zu korrigierende Folgen haben.

Unser Bildungssystem ist umgekehrt: das Beste ganz nach hinten, am besten in die Gymnasien stecken - so sehen auch die Bildungsausgaben aus.

Und deshalb werden wir in ein paar Jahrzehnten die Rechnung bekommen: Sitzen geblieben.

Hafentage sind Lesetage.



Bremerhaven an der Geeste, 2. Teil

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Published on Mai 15th, 2010 @ 15:34:44 , using 111 words,
Bremerhaven an der Geeste, 2. Teil
Bremerhaven an der Geeste, 2. Teil
Gestern habe ich eine Ein-Mann-Rettungsinsel, die mal in einem amerikanischen Düsenjäger war und die ich bei ebay ersteigert hatte ( als Dekoration deklariert) von der Servicewerkstatt abgeholt. Die ganze Belegschaft stand Kopf. Herstellungsjahr 1968 - also 40 Jahre alt. Der Mitarbeiter, der für sie zuständig war, war 1968 geboren worden - für das Firmenarchiv wurde ein Foto gemacht. Die Druckflasche hat in den 40 Jahren 2 Gramm verloren - der Mitarbeiter meinte, in dieser Insel sei ich sicherer als in einer neuen. SUPER. Foto bekomme ich von ihm an WE, wird also in den nächsten Tagen hier zu sehen sein.

Tja, und Caro selbstgestrickte Socken sind jetzt nicht nur abends angesagt, sondern sorgen auch schon am Tag für wohlig warme Füße.

Bremerhaven an der Geeste

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Published on Mai 14th, 2010 @ 14:47:14 , using 211 words,
Bremerhaven an der Geeste

"Was,  du Hund - willst du das Wetter auf dich zugeschnitten haben wie einen Jackettanzug? Hat sich das ganze Universum einfach nach deiner Bequemlichkeit zu richten? ... Bist du nicht zufrieden mit dem Segeln, solange nicht gerade der Wind spielt, der genau für deine elende Barke paßt, weder zu stark noch zu leicht?...Willst du nie in den Willen deines Schöpfers Vertrauen setzen und die Dinge nehmen wie sie kommen?" Hilaire Belloc, Die Kreuzfahrten der NONA - und Belloc war jemand, der wusste, was er da schreibt: seine NONA hatte keinen Motor und so musste er so manches Mal in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts sein Schiff mit Hilfe seines Bootsmannes von seinem Dingy aus in einen Hafen oder an einen Ankerplatz schleppen.

Also lasst uns das Wetter nehmen, wie es kommt - ab jetzt wird gesegelt und wenn ich hier an der Geeste eine Woche warten muss, bis ein händiger Wind mich nach Helgoland bringt.

Es ist kalt, aber es scheint die Sonne. Das Echolot ist repariert - Wackelkontakt. An den Vorstagen sind zwei Schäkel ausgetauscht worden, die Rettungsinsel hat einen schnell zugänglichen Stauraum gefunden und der Wetterbericht sagt für worgen NW - W 4-5, zunehmend 6 voraus - Hafentag.

Also zu Janssen und 5 Liter Petroleum kaufen, damit heute abend beim Lesen der Petroleumofen angemacht werden kann.

 

 

der erste Tag

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Published on Mai 13th, 2010 @ 16:05:37 , using 361 words,
der erste Tag

Es nieselt.

Es ist kalt.

Es weht der Wind aus der Ecke in die ich will.

Es ist der erste Tag meiner langersehnten Auszeit, die für mich der Einstieg in einen neuen Lebensabschnitt werden soll - und das bei diesen Bedingungen??????

Hochwasser beim VBS (Verein Bremer Segelfreunde), meinem Heimatverein, ist um 15:30 Uhr, und morgen Freitag muss ich in Bremerhaven sein, um dort ein wichtiges Ausrüstungsteil aus einer Werkstatt abzuholen. Also muss ich los, obwohl mein Sinn nach allem anderen steht.

Es nieselt.

Es ist schweinekalt.

Doch jetzt kommt Ulli um mich zu verabschieden und wir schnacken noch ein bischen - er segelt in ein paar Wochen hoch in die Eisgegend von Grönland - ich bleibe südlicher - und macht Fotos.

Ich will einhand über Helgoland, Eidersperrwerk, Eider, Nord-Ostseekanal, über Fehmanbelt, nach Mecklenburg, Rostock, Rügen, Polen nach Lettland, Estland und dann weiter in den Norden.

Nach über 44 Filmen in 11 Jahren (www.streese-film.de) brauche ich jetzt mal eine Auszeit, um die Kreativitätsakkus aufzuladen.

Und um auf diesen langen Törn, der die nächsten Jahre stattfinden wird, nicht zu vereinsamen, habe ich mir vorgenommen, täglich hier ein Tagebuch zu schreiben - würde ich nur für mich in ein Buch schreiben, würde ich vermutlich bald damit aufhören. So aber gehe ich eine gewisse Verpflichtung ein.

Aber jetz bin ich noch auf der Lesum und es nieselt immer noch.

Und es ist kalt.

Wind 4-5 N bis NNW, abnehmend. also genau daher, wo ich hin will. Heißt motoren. Zum Kotzen.

Als ich das Haus von Karin und Frank an der Lesum passiere, steht Karin am Fenster und winkt - ja, das ist ein wirklich schöner Abschied hier von diesem kleinen schönen Fleckchen Erde.


Auf der Weser erwartet mich eine geschlossene Stratocumulus-Wolkendecke, hellgrau bis dunkelgrau gemischt, dann bei Nordenham bricht im Westen der Himmel auf und die Sonne bricht durch und taucht das Vorland von Bremerhaven und die Industrieanlagen von Bremerhaven ist ein gleißendes überirdisches Licht - das nehme ich jetzt mal als ein gutes Omen.

20:30 bin ich an der Geeste - und der Himmel ist zur Hälfte in ein zartes Azurblau getaucht - die Temperatur sinkt an Bord auf 8 Grad.

Grogzeit.

Das Echolot geht nicht - vermutlich beim Umbau Kabel verwechselt. Morgen ist Hafentag, da kümmer ich mich drum.



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